Projekte aktuell
Projekte aktuell
Die Erlanger Sinologie widmet sich einer breiten Reihe von größtenteils drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten zum traditionellen und modernen China. Eine kurze Einführung zu diesen Projekten—von denen die meisten in Kooperation mit Partnerinstitutionen im In- und Ausland verfolgt werden—finden Sie hier vorgestellt.
Das Fortbildungsprogramm KoWinChi (Kompetent wissenschaftlich interagieren mit China) bereitet Wissenschaftler:innen und wissenschaftsunterstützendes Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen für die Zusammenarbeit mit China vor.
In 9 praxisnahen Modulen werden Teilnehmende sensibilisiert, um mit chinesischen Partnern zusammenzuarbeiten. Das KoWinChi-Zertifikat bestätigt konkrete Kompetenzen in der wissenschaftlichen und verwaltungstechnischen Zusammenarbeit mit der VR China.
Gewinnen Sie Einblicke in die Forschungs- und Hochschullandschaft der VR China und werden Sie souverän im Umgang mit Problemlagen wie Wissenschaftsfreiheit, rechtliche Normen und Bestimmungen, Wissenstransfer und Innovationspolitik. Werden Sie Teil der China-Kompetenz-Initiative und helfen Sie bei der erfolgreichen Etablierung und Umsetzung wertebasierter Kooperationen in und mit China.
Für mehr Details, siehe hier.
Team
Prof. Dr. Dr. Andrea Bréard
Lehrstuhl für Sinologie mit Schwerpunkt Geistes- und Kulturgeschichte Chinas
andrea.breard@fau.de
Prof. Dr. Marc Andre Matten
Professur für Zeitgeschichte Chinas / Professor of Contemporary Chinese History
marc.matten@fau.de
Kevin Bockholt
Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Research Fellow
kevin.bockholt@fau.de
Erinnerungslandschaften des kollektiven Leidens: Naturkatastrophen und Erinnerung im gegenwärtigen China
Seit den 2010er Jahren lassen sich zunehmende Eingriffe der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in die chinesische Kulturindustrie beobachten, die auf Kontrolle und Zensur der Interpretation der Vergangenheit sowie die Disziplinierung von Affekten und Emotionen im öffentlichen Raum abzielen. Die koexistierenden Meistererzählungen von Modernisierung und Revolution werden an der Schnittstelle zwischen den persönlichen Erfahrungen des/der partizipativen KonsumentIn und den vorherrschenden historischen Diskursen von Patriotismus und Fortschritt reproduziert. Wie kann aber die KPCh die „dunklen Erinnerungen“ an Katastrophen in ihre Erfolgsgeschichte einbinden? Die bisherige Forschung zu dark memories hat sich auf die politische Gewalt und die sozialen Umwälzungen im China des 20. Jahrhunderts konzentriert. Ausgehend von der Bedeutung der Kontrolle der Natur und der Lösung ökologischer Probleme für die politische Legitimität der KPCh untersucht das Projekt, wie Naturkatastrophen und das daraus resultierende menschliche Leid in einem dynamischen und diachronen Prozess der Erinnerungsbildung unter sich verändernden politischen, sozialen und technologischen Bedingungen benannt und erzählt werden.
Das Projekt verbindet die Methoden der historischen Diskursanalyse mit denen der Medien- und Literaturwissenschaft und fragt nach den sozialen und politischen Dynamiken und Kontingenzen bei der Erinnerung an Naturkatastrophen. Im Fokus stehen zwei Fallstudien zu touristischen Orten als Erinnerungsräume: 1) Naturtourismus am historischen Ort des Deichbruchs in Huayuankou im Juni 1938, der zur Überschwemmung des Gelben Flusses (1938-1947) führte; 2) dark tourism an den Epizentren der beiden Erdbeben von Tangshan (1976) und Wenchuan (2008). Wir setzen uns mit der Idee einer monolithischen offiziellen Geschichtsschreibung von Naturkatastrophen auseinander und untersuchen das Zusammenspiel von Akteuren, die Erinnerung schaffen, die sich verändernden Landschaften touristischer Stätten, sowie Gedenkmedien und die Rolle öffentlicher Affektregulierung.
Team
Frau Dr. Rui Kunze
Wissenschaftliche Mitarbeiterin/Research Assistant
rui.kunze@fau.de
Prof. Dr. Marc Andre Matten
Professur für Zeitgeschichte Chinas / Professor of Contemporary Chinese History
marc.matten@fau.de
Graduiertenkolleg „Das Sentimentale in Literatur, Kultur und Politik“
Das Projekt wird gefördert durch die DFG (2022-2026).
Das Graduiertenkolleg untersucht Formen und Funktionen des Sentimentalen in synchroner und diachroner Perspektive. Das Sentimentale verstehen wir als kommunikativen, beziehungsstiftenden Code, der auf emotionale Wissensbestände rekurrieren und empathische Fähigkeiten aktivieren kann. Er lässt sich in verschiedenen Feldern symbolischer Interaktion, d.h. in ästhetisch-literarischen, mediatisierten sowie inszenierten und politisch-rhetorischen Verwendungen beobachten und als Element sozial wirksamer Diskurse und Praktiken beschreiben. Mit einer kulturvergleichenden Perspektive fokussiert das Kolleg sowohl auf kulturspezifische Verwendungen als auch auf inter- und transkulturelle Aneignungsprozesse dieses Codes in nationalen und transnationalen Kontexten. Das Sentimentale kommt zum Tragen als ästhetische Darstellungsweise im Dienste spezifischer Affektökonomien oder einer soziopolitischen Interpellationsstrategie in literarischen und nicht-literarischen Narrativen, als Mittel der kollektiven Krisenbewältigung und Sinnstiftung in affektiven gemeinschaftsbildenden kulturellen Praktiken und als Strategie der politischen Mobilisierung sowie der moralischen Legitimation, z.B. in Protestbewegungen oder populistischer Rhetorik. Das Kolleg will analysieren, wie dieser Code gerade in der Verschränkung von vermeintlich privaten Gefühlswelten und deren öffentlicher Zurschaustellung seine Wirkmacht entfaltet und in verschiedenen Situationen mit unterschiedlichen Intentionen eingesetzt wird. Die Fragestellung des Graduiertenkollegs ist von größter aktueller Relevanz, wie die oft beschworene Krise der politischen Kommunikation und deren neue Gefühlslastigkeit (nicht nur) in westlichen Demokratien ebenso exemplarisch zeigt, wie die lange Geschichte der Verwendung sentimentaler Register bei der Generierung von Empathie und Solidarität angesichts individueller und kollektiver Leiderfahrungen. Ziel unserer Arbeit ist es, die bislang stark disziplinär eingehegten, teils lediglich verstreut oder rudimentär vorhandenen Diskurse zum Sentimentalen in Literatur- und Kulturwissenschaften sowie Soziologie und Politikwissenschaft systematisch miteinander in Beziehung zu setzen. Das Forschungsprogramm ist mit einem innovativen und anspruchsvollen Qualifizierungs- und Ausbildungskonzept verknüpft, das sich durch die Integration interdisziplinärer forschungsorientierter Ausbildung und praxisbezogener Maßnahmen auszeichnet. Neben bewährten Formaten wie einem Kolloquium mit Projektvorstellungen der (Post-)Doktorand*innen, Gastvorträgen und interdisziplinären Methodenworkshops sieht das Graduiertenkolleg ein Praxismodul vor (finanziert aus Mitteln der FAU), bei dem die Doktorand*innen Einblicke in Tätigkeitsfelder außerhalb der Universität gewinnen. Das Kolleg schließt an langjährige interdisziplinäre Zusammenarbeit der beteiligten Wissenschaftler*innen an und ist in einem Forschungsumfeld angesiedelt, das kulturspezifische Expertise mit theoretischer Grundlagenreflexion verbindet.
Quantifizierung von Europa bis Ostasien / Quantification from Europe to East Asia (2021-2026)
Das Projekt ist Teil des aus Mitteln der Alexander-von-Humboldt-Professur finanzierten Dachprojektes sin-aps.
Die herausragende Bedeutung von Zahlen und Statistiken zum Verständnis und zur Ordnung der Welt hat eine lange Geschichte, und dies natürlich nicht nur in Europa. Sie zieht sich von der frühen Antike bis heute durch alle Kulturräume. Zahlen wurden in sehr unterschiedlichen Kontexten wirkungsmächtig (Religion, Astrologie, Ökonomie, Wissenschaft, Technik, Verwaltung, usw.), gerade in kulturellen Austauschprozessen verlieren sie ebenso schnell aber auch ihre scheinbare Universalität oder Plausibilität und erlangen neue, unerwartete Bedeutungen. Die Geschichte der Quantifizierung von natürlichen und sozialen Phänomenen und insbesondere die Sammlung und statistische Analyse numerischer Daten war dabei bisher ein Thema der historischen Forschung, das aus verschiedenen Perspektiven für die Physik, die Lebens- und die Sozialwissenschaften, vor allem für die Wirtschaft, sowie für den Bereich der Medizin und der Psychologie untersucht wurde. Aber selten berücksichtigen und analysierten die oft disziplinär isolierten Studien, was außerhalb Westeuropas und Nordamerikas geschah, obwohl der potenzielle Reichtum einer “für die kulturelle Erforschung der Objektivität relevanten Geschichte der Quantifizierung” jenseits der üblichen geographischen Grenzen anerkannt wurde (Porter 1995). Nicht-westliche Gesellschaften, die nicht nur frühe Traditionen der quantitativen Astronomie hatten, die von den praktischen Anforderungen der Astrologie getrieben wurden, sondern auch Formen der politischen Ordnung, die die numerische Messung sozialer und natürlicher Phänomene erforderten, liefern reichhaltige Materialien für die Erforschung der kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Bedeutung der Quantifizierung über den Übergang zur Moderne hinaus. Als im frühen 20. Jahrhundert auch nicht-westliche Staaten in die globale Szene von Wissenschaft und Technologie eintreten wird Quantifizierung zu einer allgegenwärtigen Praxis und einem anerkannten theoretischen Werkzeug in Wissenschaft und öffentlichem Leben, das seither auf nationaler und globaler politischer, wissenschaftlicher und institutioneller Ebene tiefgreifend transformative Wirkungen hat.
Wenn man die eingangs skizzierten kontemporären Phänomene der Objektivierung und Wirkmächtigkeit algorithmisch produzierter numerischer “Tatsachen” verstehen will, ist es auch wichtig, frühere traditionelle Praktiken der Quantifizierung und ihre Beteiligung an Kulturen des Zählens, Rechnens und Messens mit in Betracht zu ziehen. Meine eigene wissenschaftshistorische Forschung hat sich insbesondere an transkulturelle Schauplätze begeben, an denen sich selbstverständlich als universell verstehende Wissenskulturen aufeinanderprallten. China am Ende des 19. Jahrhunderts ist ein solcher Schauplatz, an dem das Selbstverständnis einer Zivilisation, inklusive seiner moralischen Werte und religiösexistenziellen Überzeugungen, im Zuge der europäischen Expansion nachhaltig erschüttert wurde. Dass der Wandel der Statistik, von administrativen Listen rein fiskalischer Bedeutung für die kaiserliche Verwaltung zur umfassenden Sozialstatistik als rationalem Regierungsinstrument das vorhandene Verständnis der Messbarkeit der Welt veränderte und die epistemischen Grenzen möglicher narrativer Plausibilität erweiterte, sind nur zwei der vielfältigen Konsequenzen transregionaler Zirkulationen von statistischen Theorien, Praktiken und Institutionen. Aus historischer Sicht von Interesse ist weiterhin die Frage, wie sich die persuasive Kraft von Zahlen im Übergang zur Moderne, im Prozess der Globalisierung der “numerischen Vernunft” und erneut im Zuge der Digitalisierung in verschiedenen Settings verändert hat. Die besondere gesellschaftliche Relevanz des Projekts kommt u.a. darin zum Tragen, dass es durch seine historische Dimension zum Verständnis der Chancen und Gefahren der “großen Transformation”, d.h. der Ablösung der keynesianischen Ära und der Regierung durch statistische Zahlen, durch die massive Produktion großer Mengen von Daten durch meist nicht-staatliche Institutionen mit globalen wirtschaftlichen Interessen beiträgt.
Der Untersuchung der kulturellen, sozialen und politischen Implikationen von Quantifizierung sollen sich deshalb Studien in unterschiedlichen räumlichen Maßstäben und aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln annähern. Anstelle der West-Ost Dichotomie, wird zudem ein transregionaler Zusammenhang von Europa bis Asien zugrundegelegt, der sich in den Forschungsfeldern neu rekrutierter wissenschaftlicher Mitarbeiter, potentieller Projektmitglieder und Kooperationspartner in und ausserhalb der FAU widerspiegelt. Theoretische Ansätze der französischen Schule der Soziologie der Quantifizierung von Alain Desrosières zur Untersuchung der “Politik der großen Zahlen” würden hier gerade durch den transregionalen Blick auf China und die Sowjetunion auf die Probe gestellt, denn soziale Kontrolle in nicht-demokratischen Regimen beruhte im 20. Jahrhundert auch auf “kleinen Zahlen”, genauer gesagt auf dem von Mao und in der Sowjetunion entwickelten Konzept “typischer Stichproben”. Dieses jeglicher mathematischen Rationalität widersprechende und gegen “bourgeoise Wissenschaft” gerichtete Konzept, bedeutete, dass eine gute typische Umfrage eine Stichprobengrösse von Eins haben.
Team
Prof. Dr. Andrea Bréard
Lehrstuhl für Sinologie mit dem Schwerpunkt Geistes- und Kulturgeschichte Chinas (Alexander von Humboldt-Professur)
andrea.breard@fau.de
Stefan Christ
Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Research Fellow
stefan.christ@fau.de
Jacopo Nocchi
Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Research Fellow
jacopo.nocchi@fau.de
Marie Schierhorn
Wissenschaftlicher Mitarbeiterin / Research Fellow
marie.schierhorn@fau.de
Chinawissen vernetzt: zur Analyse und Schaffung komplexer disziplinärer Räume (Trilaterale Forschungskonferenzen, Villa Vigoni, 2021-2023)
Unser Vorhaben „Chinawissen vernetzt: zur Analyse und Schaffung komplexer disziplinärer Räume“ ist wissenschafts- und disziplingeschichtlich: es betrifft Akteure des Wissenstransfers mit China seit Mitte des 19. Jhds. Sie werden in ihren komplexen Identitäten und globalen Netzwerken verstanden, die zur Schaffung von Wissen in beiden Richtungen beigetragen haben und durch Übersetzungsprozesse die Universalität (und Lokalität) der Wissenschaften konstruiert haben. In einer ersten Konferenz untersuchen wir exemplarisch einige Hauptakteure des Wissenstransfers zwischen Europa und China, ihre multiplen Identitäten und Netzwerke und ihre Rolle in alten oder neu gegründeten Institutionen. Durch Text-Lektüren, Diskussionsrunden und Präsentationen sollen dadurch auch die Sinologien Frankreichs, Deutschlands und Italiens einander näher gebracht werden.
Notre projet « Savoirs sur la Chine en réseau : sur l’analyse et la création d’espaces disciplinaires complexes » relève de l’histoire des sciences et de l’histoire disciplinaire : il concerne les acteurs de la circulation des savoirs avec la Chine depuis le milieu du 19e siècle. Ils seront compris dans leurs identités complexes et leurs réseaux mondiaux qui ont contribué réciproquement à la construction des savoirs et de l’universalité (et la localité) des sciences à travers des processus de traduction. Lors d’une première conférence trilatérale on s’intéressera à quelques acteurs et à leurs réseaux dans leurs identités multiples, on s’interrogera sur le rôle qu’ils ont joué dans les institutions anciennes ou nouvellement crées. A travers des ateliers de lecture, des tables rondes et des présentations on souhaite ainsi rapprocher davantage les sinologies en France, en Italie et en Allemagne.
Il progetto “Sinologia in rete: spazi interdisciplinari per gli studi cinesi” si muove nell’ambito della storia delle scienze in una prospettiva multidisciplinare e riguarda attori e mezzi del trasferimento di conoscenze da e per la Cina dalla metà del XIX sec. Nel corso del primo incontro trilaterale si analizzeranno attori e reti che hanno contribuito alla costruzione di saperi e dell’universalità (e localizzazione) delle scienze, interrogandosi sul loro contributo a una costruzione condivisa di scambi e interazioni in ambito sinologico in Cina e in Europa. Attraverso tavole rotonde, sessioni di traduzione e analisi di testi, discussioni plenarie e in sottogruppi, presentazioni di contributi si cercherà di rafforzare la collaborazione e l’interazione degli studiosi partecipanti da Francia, Italia e Germania per una riflessione condivisa che possa portare a una diffusione estesa dei risultati della ricerca.
Our project “Networks of knowledge about China: on the analysis and creation of complex disciplinary spaces” concerns the history of science and disciplines: it will deal with actors in the circulation of knowledge with China since the middle of the nineteenth century. They will be analyzed in terms of their complex identities and of the global networks which have contributed to the construction of knowledge and to the universality (and locality) of science through translation processes. During the first trilateral conference we will look at a few actors and their networks in their multiple identities, we will question the role they played in old or newly created institutions. Through reading workshops, round tables and presentations, the aim is to bring French, Italian and German sinologies closer together.
Prof. Dr. Andrea Bréard
Lehrstuhl für Sinologie mit dem Schwerpunkt Geistes- und Kulturgeschichte Chinas (Alexander von Humboldt-Professur)
andrea.breard@fau.de
Die Sprache algorithmischer Mathematik / The language of algorithmic mathematics (2021-2026)
Das Projekt ist Teil des aus Mitteln der Alexander-von-Humboldt-Professur finanzierten Dachprojektes sin-aps.
Will man analysieren und vergleichen, wie in unterschiedlichen Wissenstraditionen Rationalität durch das rechnerisch präskriptive von Algorithmen erzielt wurde, kommt man nicht umher, einen grundlegenden Beitrag zum Verständnis der Sprache algorithmischer Texte zu leisten. Hier besteht nicht nur für China, sondern auch für das ebenfalls stark algorithmisch geprägte griechische Mittelalter ein großer Nachholbedarf, weniger so für das lateinische Mittelalter, da es nur eine wenig entwickelte geometrische Tradition gab, die die Rechenkünste historiographisch überschatten hätte können. In einem zweiten Teilprojekt zur numerisch-algorithmischen Rationalität soll deshalb die natürliche und visuelle Sprache der chinesischen Mathematik mithilfe von Ansätzen der Digital Humanities untersucht werden. Eine der Grundprämissen ist dabei, dass die natürliche und visuelle Sprache algorithmischer Mathematik nicht a priori als informeller mathematischer Diskurs (IMD) verstanden wird. Grundlegend für mein durchaus langfristig angedachtes Vorhaben zur natürlichen und visuellen Sprache algorithmischer Mathematik ist die Erstellung einer multilingualen Forschungsdatenbank für elektronische Editionen natürlichsprachlicher Mathematiktexte; ebenso die Publikation kommentierter Übersetzungen von Schlüsseltexten der vormodernen chinesischen Mathematik, um langfristig einen interdisziplinären und nicht-eurozentrischen Dialog in der Wissenschaftsgeschichte zu ermöglichen.
Durch computerlinguistische Methoden soll a) die Formelhaftigkeit der Sprache der digitalisierten Texte gemessen und überprüft werden und der Metrik literarischer Texte gegenübergestellt werden. Fokussiert werden Texte ab 1850 analysiert, da diese nach den Opiumkriegen im Spannungsfeld von durch algebraischen Symbolen geprägter westlicher Mathematik und der in China von Traditionalisten verteidigten Diskursmodalitäten standen. Durch Terminologieextraktion, stilometrische Methoden und Argumentation Mining können auch Fragen der Sprachveränderung sowie Argumentationsstrukturen diachronisch untersucht werden. Dies soll insbesondere in Zusammenarbeit mit Prof. Evert, Lehrstuhl für Korpus- und Computerlinguistik, an der FAU unternommen werden.
Neben natürlichsprachlichen Elementen spielen b) auch visuelle Elemente eine epistemologische Rolle in der algorithmischen Mathematik, sowohl als Denk- als auch als Argumentationsformen; sie unterliegen, wie die natürliche Sprache, historischen und kulturellen Wandlungen und Transmissionsprozessen. Ob und wie sich durch diese Diagramme verändern, sie einem graphischen Code unterliegen, zum Beispiel wenn sie von einem Text zum anderen kopiert oder übersetzt werden, kann nur durch automatische Bildanalyse für einen grossen Textkorpus beantwortet werden. Im Vergleich zur Ikonographie in der Kunstgeschichte bieten mathematische, nicht-ikonische Diagramme, durch ihre logischen und reduzierten ornamentalen Strukturen, minimale Beispiele zur Entwicklung komputationeller Methoden der Mustererkennung. In Kooperation mit dem Pattern Recognition Lab der FAU (Direktion Prof. Andreas Maier) sollen zunächst mathematische Diagramme aus digitalisierten Manuskripten der byzantinischen Tradition als Fallstudien dienen, da hier ein signifikanter Korpus von ca. 500 Manuskripten vorliegt. Hierfür entwickelte Methoden und Fragestellungen können dann in einem zweiten Schritt auf Diagramme chinesischer übersetzter Quellen und deren Originale vergleichend angewendet werden. Inwiefern diese Methoden philologische Untersuchungen textueller Filiation sogar ersetzen könnten bleibt zunächst offen; sie sollten aber durchaus erlauben, Hypothesen der Symmetrisierung und Stilisierung zu testen, die intuitiv anhand einiger Texte nur erahnt werden können.
Prof. Dr. Andrea Bréard
Lehrstuhl für Sinologie mit dem Schwerpunkt Geistes- und Kulturgeschichte Chinas (Alexander von Humboldt-Professur)
andrea.breard@fau.de
Writing History with China — Chinese Concepts in Transnational Historiography
The Volkswagen Foundation funds the new research project “Writing History with China — Chinese Concepts in Transnational Historiography” of Professor Marc Matten. It aims at redefining the disciplinary boundaries of sinology and historical sciences by analyzing how analytical concepts travel in global history writing.
In recent years historians in China have begun questioning Western models of historiography. The current efforts of Chinese researchers to make their publications available in English translation is part of their ambitions to (rightfully) criticize Eurocentrism, to pursue a deimperialization of historical knowledge production and to disseminate (also as part of soft power policy) a so-called more Chinese understanding of history and culture on a global scale. So far, these ambitions have been discussed intensively in sinology, yet as they address the global community of scholars their academic significance goes far beyond the area studies of China.
The aim of this project is to devise new ways of helping 1. to raise translingual and conceptual awareness for how cultural assumptions and political rhetoric shape both the writing of these texts and our reading of them, and 2. to integrate Chinese history more closely into historical sciences in Europe. In cooperation with global historians in China we aim at identifying the historically and culturally specific conditions of knowledge production and at fathoming the potential—and long-desired—contributions of Chinese historians to the development of a truly global history writing. The project will focus on the current discussions of different methodologies among Chinese historians, ranging from debates on the applicability of so-called Western models to the insistence on a distinct Chinese model.
The compilation of an open-access bilingual handbook on Key Concepts in Modern Chinese Historiography, the publication of annotated translations of contemporary historiographical key texts, as well as international exchange in form of workshops and guest professorships shall foster a transdisciplinary dialogue between sinology and historical sciences at FAU and beyond.
By doing so, we hope to integrate Chinese history more closely into historical sciences curricula and to achieve a broader consideration of Chinese historians’ research in global history writing.
The Volkswagen Foundation supports this project in the coming seven years as part of its Momentum – Funding for Recently Tenured Professors funding line.
Team
Frau Prof. Dr. Simone Derix
Lehrstuhl für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte (Prof. Dr. Derix)
simone.derix@fau.de
Herr Prof. Dr. Marc Matten
Professur für Zeitgeschichte Chinas / Professor of Contemporary Chinese History
marc.matten@fau.de