Vortrag aus der Reihe „Chapters from Chinese Studies“
Mittwoch, den 08.05.2024, 18:00 Uhr, Raum 00.112, Artilleriestr. 70, Erlangen;
Karriereplanung im Zeitalter der Angst: Der Verkauf von Amtsrängen und sozialer Wandel im China des 19. Jahrhunderts
Keine Statusgruppe hat das Chinabild in Europa seit der frühen Neuzeit mehr geprägt als die als „Mandarine“ bekannten Qing-Beamten. Noch bis ins frühe 19. Jahrhundert blieben sie ein Objekt der Bewunderung. Chinas Staatsprüfungen wurden gefeiert und nachgeahmt als meritokratische Alternative zum europäischen Adels- und Ämterkaufsystem. Nach dem Opiumkrieg 1839-42 jedoch verkehrten sich diese Ansichten ins Gegenteil. Während Europa sich seit der französischen Revolution rapide modernisierte und meritokratisch „aufrüstete,“ grassierte in China der Ämterverkauf.
Neuere Forschungen haben gezeigt, dass der legale Verkauf von Amtsrängen durch den Staat auch in China nichts neues war, aber die Ausmaße übertrafen nun alles vorherige. Der Vortrag wird zeigen, wie der expansive Verkauf von Amtsrängen (aber nicht Amtsposten) zu einem Karrierestau führte, in dem Duzende oder Hunderte von Amtsanwärtern eine begrenzte Anzahl von Stellen anstrebten. Ein Effekt dieses Phänomens war, dass die Bürokratie auseinanderdriftete. Zwischen einem imaginierten kaiserlichen Beamtenapparat von nur etwas mehr als 11,000 bestallten Zivilbeamten und der Realbürokratie von mit Amtsanwärtern kommissarisch besetzten Provinzbüros tat sich eine Kluft auf.
Forschungen zu Beamtenkarrieren haben in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt durch die Erstellung großer Datenbanken und die Anwendung neuer Methoden der digitalen Geisteswissenschaften. Allerdings beschränken sich diese Forschungen auf die bestallten Beamten, die in Amtsregistern verzeichnet sind. Wie jedoch sahen die Karrieren der vielen nicht bestallten Amtsanwärter aus? Der Vortrag veranschaulicht das auch heute nicht ganz unbekannte Problem des Karrierestaus anhand von realen und literarisch imaginierten Biographien. Er wird auch zeigen wie Statusängste politische Entscheidungen bestimmten und die Elitenpolitik zunehmend als Ursache für Chinas Niedergang angesehen wurde. Der Statusverlust des Gelehrten-Beamten als Eckpfeiler der herrschenden Gesellschaftsordnung ebnete den Weg für die Abschaffung der Beamtenprüfungen und schließlich für die Revolution von 1911.
Bitte kontaktieren Sie Herrn Höckelmann, falls Sie per Zoom teilnehmen möchten.